Gendern- „Die Grünen ruinieren die Sprache!!!😤“ (?)

Starten wir mit einem kurzen Quiz: Was ist der Todfeind der Konservativen, mittlerweile in sieben Bundesländern verboten und sorgt regelmäßig für erbitterte Diskussionen bei Familienfeiern?
Falls ihr jetzt an eine ernsthafte Bedrohung oder ein real existierendes Problem gedacht habt, liegt ihr falsch: es handelt sich um das sprachliche Phänomen des Genderns. Hört man Politiker*innen wie Markus Söder zu, kommt schnell das Gefühl auf, gendernde Menschen hätten Goethe und Schiller mit eigenen Händen umgebracht. „Verschandelung der deutschen Sprache“, „Woke Wahnsinn“ und „Gender- Ideologie“ gehören da noch zu den harmloseren Beschimpfungen, die gendernde Menschen sich anhören müssen. Aber warum, wie und was wird eigentlich gegendert und was genau steckt hinter dem Begriff? Damit möchte ich mich in diesem Artikel befassen.
Gendern, bezogen auf die deutsche Sprache, bezeichnet einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch, in dem möglichst alle Geschlechter sichtbar gemacht werden sollen. Da Deutsch eine sehr komplizierte Grammatik hat, gibt es dafür zahlreiche Möglichkeiten. Einige der bekanntesten sind Mehrfachnennungen (Lehrerinnen und Lehrer), Abtrennung durch Sonderzeichen (Lehrer:innen, Lehrer*innen oder Lehrer-innen) und neutral gewählte Ausdrücke (Lehrkräfte, Lehrpersonen etc.). Diese ersetzen das generische Maskulinum (Lehrer). Hierbei haben das Gendern mit Sonderzeichen und die Wahl neutraler Ausdrücke den Vorteil, dass auch nicht-binäre Menschen, also Menschen, deren Geschlecht weder männlich noch weiblich ist, sichtbar gemacht werden.
Soweit, so gut. Doch warum sorgt ein sprachliches Mittel zur Gleichberechtigung im Sprachgebrauch bei so vielen Menschen für Wut und Unverständnis?
Das wohl am häufigsten genannte Argument ist, dass mit dem generischen Maskulinum doch alle mitgemeint seien. Das ist laut Definition zwar korrekt, in der Realität denken viele Menschen bei ungegenderten Substantiven, aber hauptsächlich an Männer. Eine von Quarks zitierte Studie zeigte, dass bei einem im Text genannten Spezialisten nur etwa 33 % der Befragten an eine Frau dachten. Insofern sind nicht-männliche Personen zwar vielleicht formal mit gemeint, in der Realität aber nur selten mitgedacht. Darüber hinaus sprechen Gendergegner*innen häufig von einem „Gender-Zwang“ oder einem „Ende der freien Sprache“, um zu implizieren, Menschen würden zum Gendern gezwungen werden. In der Realität existieren gesetzliche Regelungen zu geschlechtergerechter Sprache nur in den Bundesländern, in denen diese auf behördliche Ebene verboten ist. Die einzigen, die Menschen vorschreiben, wie sie sich auszudrücken haben sind also, JA!, die Rechten und Konservativen.
Ein weiterhin häufig genanntes Argument ist, dass Gendern grammatikalisch falsch sei und unnatürlich klinge. Hierbei ist der erste Punkt zwar in Teilen korrekt, die Verwendung von Sonderzeichen innerhalb von Wörtern ist in der deutschen Grammatik nicht vorgesehen und dadurch formal falsch, allerdings gibt es auf der einen Seite auch grammatikalisch konforme Möglichkeiten wie zum Beispiel durch neutrale Formen, und auf der anderen Seite verändern Sprache und Grammatik sich fortlaufend. Auch Sprachpausen sind keineswegs nur für das Gendern erfunden worden. Man nennt diese Pause Glottisschlag und sie kommt beispielsweise auch in den Worten Spiegelei, Staubecke, beinhalten und vereisen vor.
Insgesamt sind viele Argumente gegen das Gendern also bei näherer Betrachtung gar nicht mal so sinnvoll. Mir persönlich ist es absolut schleierhaft, wie so eine kleine Umstellung im Sprachgebrauch so viele Menschen so wütend machen kann. Niemand will dir verbieten, ohne Genderstern zu sprechen, niemand will Goethes Faust nur noch in Gendersprache unterrichten und die einzige Personengruppe, die eine Identitätskrise bekommt, weil in der Sprache mehr als zwei Geschlechter abgebildet werden sind Gendergegner*innen. Personen, deren größtes Problem ein angehängtes -innen an Substantiven ist, kann ich nur beneiden. Aber während Rechtsextreme auf dem Vormarsch sind, der Klimawandel schneller denn je voranschreitet und wir ganz langsam einen Bewusstsein dafür gewinnen, dass ganz viele Dinge in unserer Gesellschaft ganz schön falsch laufen, ist es natürlich am einfachsten, Satzzeichen zum Feind zu erklären, anstatt endlich das eigene Verhalten zu reflektieren.
Niemand nimmt Schaden vom Gendern, alle einmal durchatmen bitte.

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